2011wurde durch das Land Berlin die Markthalle in der Eisenbahnstraße in Kreuzberg zu einem Schnäppchen-Festpreis von 1,1 Millionen Euro an ein privates, kommerzielles Konsortium verkauft, das damals versprach, eine „Halle für alle“ zu schaffen. „Die Halle soll soziales Zentrum werden, keine Eventlocation“, so seinerzeit vor dem Verkauf die heutigen Eigentümer (Morgenpost 2010)
Von diesem Versprechen ist nichts geblieben. „Man muss keiner der Beteiligten sein, um zu verstehen, dass die neuen Betreiber aus der Halle eine Event-Veranstaltung machen möchten. Ein Besuch reicht. Notwendigkeiten des täglichen Bedarfs sind eher Mangelware, lediglich der Aldi hat moderate Preise. Ansonsten dominieren überteuerte Händler, viele von ihnen selbst am Existenzminimum, die Standmieten sind horrend. Donnerstag und Sonntag parken Touri-Busse vor der Tür.“ (taz 2018)
Anlässlich der Kündigung des ALDI-Supermarktes, des letzten Angebotes für Menschen mit geringem Einkommen in der Markthalle 9, haben Anwohnerinnen und Anwohner zur Halle recherchiert.
1) Die aktuelle Situation in der „Markthalle 9“
Schon heute ist die „Markthalle 9“ durch teure Delikatessen-Stände geprägt. Das Angebot richtet sich fast ausschließlich an eine besserverdienende Mittel- und Oberschicht und an Touristinnen und Touristen.
Der ALDI, das letzte in der Markthalle 9 verbliebene Angebot, das auch für Menschen mit geringem Einkommen in Frage kommt, wurde nun zu Juli 2019 gekündigt. Viele Anwohner*innen in der von steigenden Mieten und Verdrängung geprägten Nachbarschaft sind wütend. Bereits letztes Jahr wurde das „Weltrestaurant“ nach jahrzehntelanger Existenz von den Eigentümern der Markthalle vertrieben. Von ihrem Versprechen, eine „Markthalle für alle“ zu schaffen, haben sich die Eigentümer schon lange entfernt.
2) Dubioses Eigentümer-Geflecht, intransparente Finanzen
Obwohl die Halle unter bestimmten Vorgaben zu einem Festpreis als Schnäppchen an die aktuellen Eigentümer vergeben wurde, sind die finanziellen Verhältnisse völlig intransparent.
Die Standmieten sind hoch, die Preise auch, für viele Veranstaltungen wird Eintritt genommen. Es gibt ein undurchsichtiges Eigentümer-Konglomerat von GmbH und Co KGs. Dass die Eigentümer aus der Halle hohe Gewinne ziehen, ist zu vermuten.
Einer (unvollständigen) Recherche nach stellen sich die aktuellen Eigentumsverhältnisse rund um die Markthalle 9 folgendermaßen dar.
Firma |
Zweck |
Adresse |
Eigentümer |
Geschäftsführung |
Markthalle Neun erste Verwaltungs UG (PDF) |
„wirtschaftliche Verwertung der Markthalle 9“ |
Eisenbahnstr. 43 |
Lill, Bernhard* Driessen, Nikolaus Maier, Bernd Niedermeier, Florian |
Driessen, Nikolaus Maier, Bernd Niedermeier, Florian (Management) |
Markthalle Neun Verwaltungs UG (PDF) |
„wirtschaftliche Verwertung der Markthalle 9“ |
Eisenbahnstr. 43 |
Markthalle Neun erste Verwaltungs UG Lill, Bernhard* Driessen, Nikolaus Maier, Bernd Niedermeier, Florian |
Driessen, Nikolaus Maier, Bernd Niedermeier, Florian (Management) |
Markthalle 9 GmbH (PDF 1 ) (PDF 2) |
Betrieb Markthalle, Restaurant |
Eisenbahnstr. 43 |
Driessen, Nikolaus Schaller-Maier, Christina** Angerbauer, Judith*** |
Driessen, Nikolaus Maier, Bernd Niedermeier, Florian |
KFE 9 GmbH (PDF) |
Großhandel |
Eisenbahnstr. 43 |
Markthalle 9 GmbH Reichel, Phillip |
Driessen, Nikolaus Reichel, Phillip |
* Lill, Bernhard: Fachanwalt für Immobilien-Investments und Wertsteigerung
** Schaller-Maier, Christina: vermutlich Ehefrau von Bernd Maier
*** Angerbauer, Judith: Vermutlich Lebensgefährtin von Florian Niedermeier
Interessant ist nicht nur der Klüngel aus Besitz und Geschäftsführung, der hier dargestellt ist, sondern auch, dass Schaller-Maier auf der Homepage der Markthalle 9 nur als „Unterstützung bei der Buchhaltung“ genannt ist. Dass sie auch Mit-Eigentümerin der Markthalle ist, wird nicht erwähnt.
Zu Bernhard Lill wollen wir hier ausführlicher Stellung nehmen.
Lill hatte bis 2014 eine eigene Anwaltskanzlei in Charlottenburg als Spezialist für Immobilien-Investments. Für 400 Euro Honorar pro Stunde konnten Investoren sich hier zu den folgenden Punkten beraten lassen.
„Asset-Management für internationale Investoren (Büro, Shopping-, Entertainmentcenter); Sanierung; geschlossener Immobilienfonds (61,6 Mio.Euro Fondsvolumen, über 300 Gesellschafter); Abwicklung Bauträgergeschäft der Landesbank Berlin (z.B. Büro, Hotels, Wohnanlagen, Fachmärkte, Shoppingcenter.“ (PDF, Seite 15: „Lill Rechtsanwälte“)
Seit 2014 arbeitet Lill bei der Rechtsanwaltskanzlei DSC Legal. Deren Aufgaben werden folgendermaßen beschrieben:
„Die Berliner Rechtsanwaltsgesellschaft DSC Legal ist eine Boutique Law Firm, die sich auf die anwaltliche Betreuung bzw. die notarielle Begleitung von Immobilientransaktionen und das Real Estate Asset Management, auf die Fondsberatung sowie auch im Bereich von Banking /
Finance fokussiert. Zu den Mandanten von DCS Legal zählen zahlreiche institutionelle Investoren, Immobiliengesellschaften und vermögende Privatpersonen aus dem In- und Ausland.
Wir beraten und vertreten unsere Mandanten in allen Fragen und Belangen des Legal Asset Managements und unabhängig von der Größe der Immobilie oder des Portfolios. Ziel des Asset Managements ist es, das Vermögen des Mandanten durch Werterhaltung und -steigerung der Immobilie bzw. des Portfolios, oder durch die Minimierung von Risiken zu optimieren. DSC Legal ist spezialisiert auf die anwaltliche Betreuung und notarielle Begleitung von Immobilientransaktionen. Wir beraten unsere nationale und internationale Mandantschaft umfassend in den Bereichen der Immobilienwirtschafts-, Gesellschafts- und Finanzierungsrechtes.“
Über Lill sagt DSC:
„Bernhard Lill bringt Transaktionserfahrung mit und hat zudem regelmäßig Projektentwicklungen begleitet. Zu seinen Mandanten gehören neben einem bundesweit tätiger Asset-Manager auch regionale Mandanten wie das Kreuzberger Veranstaltungscenter Markthalle Neun.“
DSC Legal sieht sich übrigens auch als Experten für die hoch umstrittenen sogenannten „Share Deals“ im Immobilienbereich:
„Ob Einzelimmobilie oder Portfolio, Bestandsobjekt oder Projektentwicklung, Asset Deal oder Share Deal; wir beraten Sie umfassend.“
Dass ein Mensch wie Lill, der über seine diversen geschäftlichen Verbindungen und seine Tätigkeit als Fach-Anwalt für Investments in profitable Immobilien prächtig mit der Wohnungsnot und den explodierenden Mieten in Berlin verdient, Mit-Eigentümer der Markthalle 9 ist, passt natürlich hervorragend in das faktische Geschäftsgebaren der sonstigen Eigentümer – und weit weniger in das Bild nach außen, das die Eigentümer gerne vermitteln wollen.
Dass Lill bei der Markthalle mitmischt, wurde von den sonstigen Eigentümern bzw. Betreibern bis heute geheim gehalten. Wenn es um die Steigerung des Immobilienwertes der Markthalle geht, waren die Eigentümer auf jeden Fall bis heute sehr erfolgreich.
3) Ein „House of Food“ in der Markthalle 9?
Geht es nach dem Willen des Berliner Senats, soll in Berlin nach Kopenhagender Vorbild ein sogenanntes „House of Food“ geschaffen werden. Für Einrichtung und Betrieb dieses „House of Food“ soll es dabei eine Zuwendung von 3.200.000 Euro an öffentlichen Mitteln geben. Interessenbekundungen sind bis zum 28.03.2019 möglich.
Auch die Eigentümer der Markthalle haben sich für die Umsetzung des „House of Food“ beworben. Offensichtlich versprechen sie sich hierdurch dreifache Profite: Zum einen einen Image-Gewinn durch das schicke „House of Food“; zum zweiten die hohen Zuschüsse vom Land Berlin; und zum dritten mehr Umsatz an den teuren Marktständen und damit die Rechtfertigung für noch höhere Standmieten in Zukunft.
Interessant ist vor allem die Zusammenarbeit der Eigentümer der Markthalle 9 mit dem für Luxus-Sanierung bekannten Architekturbüro „Stark und Stilb“. Und hier stellt sich mit Nachdruck die Frage: Wurde bereits auf undemokratische Weise hinter den Kulissen von Politik und Verwaltung beschlossen, dass die Markthalle 9 den Zuschlag für das „House of Food“ erhält?
Mitte Februar war auf der Homepage von „Stark und Stilb“, neben detaillierten Konstruktionszeichnungen, zu lesen:
„Im zukünftigen „House of Food“ in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg finden u. a. Lehrgänge für Köche statt, die den Umgang mit biologisch, regional und saisonal angebauten Nahrungsmitteln im Kantinenbereich erlernen sollen. Angedacht ist, dass die Lehrgänge mit ca. 15 Teilnehmer ca. 2 Wochen dauern und theoretische und praktische Schulungselemente beinhalten. Hierfür stehen eine Lehrküche, verschieden Seminarräume sowie Büros und Sanitärflächen zur Verfügung. Die Flächen für das „House of Food“ werden auf dem oberen Plateau einer 2-geschossigen Stahlkonstruktion errichtet. Die Gestaltung und Abtrennung der erforderlichen Räume erfolgt weitestgehend mit verglasten „Raumteilern“. Auf konstruktive Anschlüsse an das Bestandsdach wird verzichtet.
Die „Haus in Haus Konstruktion“ wird als eigene, rückbaubare Konstruktion in Stahl errichtet. Die Eingriffe in die denkmalgeschützte Substanz der Markthalle können dadurch minimiert werden. Im Achsraster der bestehenden, gusseisernen Stützen der Halle bilden Stahlrahmen das neue Traggerüst. Die Lastabtragung erfolgt über die vorhandenen, gemauerten Kreuzstützen im Kellergeschoss, welche ihrerseits die Lasten in die Einzelfundamente ableiten.“ (PDF)
Geht es nach diesem Text, so scheint schon beschlossen zu sein, dass das „House of Food“ in die Markthalle kommt – obwohl doch die Frist für Interessenbekundungen erst Ende März endet. Nachdem bekannt geworden ist, dass zur Markthalle, zu den Eigentumsverhältnissen und zum „House of Food“ recherchiert wird, wurde der Text auf der Seite der Architekturfirma Stark und Stilb umgehen geändert. Heute (Stand 12.03.19) ist dort zu lesen:
„Nach dänischem Vorbild soll in Berlin ein „House of Food“ etabliert werden. Wie in Kopenhagen soll auch in Berlin ein Ort entstehen, an dem Köche den Umgang mit biologisch, regional und saisonal angebauten Nahrungsmitteln im Kantinenbereich erlernen sollen. Hierzu werden u. a. Lehrgänge angeboten, die verschiedene praktische und theoretische Schulungselemente vermitteln. Hierfür stehen z. B. eine Lehrküche, verschiedene Seminarräume, Büros und Sanitärflächen zur Verfügung. Die Betreiber der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg überprüfen aktuell die baulichen Möglichkeiten, um dem „House of Food“ einen Standort anbieten zu können.“ (PDF)
Wir fragen uns natürlich: Wer kungelt hier gerade mit wem? Es gibt diverse inoffizielle und offizielle Kontakte zwischen der Markthalle 9 und den Veranwortlichen auf Senatsebene, etwa bei solchen Events.
Die Frage steht natürlich im Raum: Gibt es bereits eine inoffizielle Zusage seitens des Berliner Senats, dass das „House of Food“ in die Markthalle 9 kommen soll?
Von den Anwohnerinnen und Anwohnern wird die Umsetzung des „House of Food“ in der Markthalle 9 vehement abgelehnt. Kreuzberg ist ein von Umwandlung in Eigentum, explodierenden Mieten und Verdrängung extrem betroffenes Gebiet. Die Nähe zur schicken und teuren Markthalle 9 wird dabei schon heute von Immobilien-Eigentümern zur Begründung exzessiver Verkaufspreise und extrem hoher Mieten herangezogen. Ein „House of Food“ würde diese Tendenz noch weiter verstärken.